Der Kult



Bereits seit den 1970er Jahren wurde der typische „Friesennerz“ in den westeuropäischen Ländern zum Kult. Da derartige Trends zu dieser Zeit aber keinen Halt mehr vor osteuropäischen Staatsgrenzen machten – auch die Jeans hatten längst den Sprung in den real existierenden Sozialismus geschafft – wurde auch der Friesennerz in der DDR populär. Allerdings passierte das mit einigen Jahren Verspätung. Bereits ab ca. 1979-1980 waren diese Regenjacken in den „intershop“-Läden in der DDR erhältlich, natürlich nur gegen „harte Währung“, d.h. DM (für Bundesbürger) oder gegen doe sogenannten „Forum-Schecks“ der DDR-staatseigenen „Forum-Außenhandelsgesellschaft mbH“. Wie viele im „intershop“ angebotene Artikel stammten diese aber vermutlich aus DDR-Produktion (Exportüberhang?). Ob die DDR auch Friesennerze in das „westliche Ausland“ (NSW), d.h. Westeuropa bzw. Amerika, insbesondere die Bundesrepublik geliefert hat, entzieht sich meiner Kenntnis, es ist aber davon auszugehen. Ein Verkauf dieser Kleidungsstücke für Inlandswährung in der DDR war aber aufgrund lizenzrechtlicher Abkommen nicht ohne Weiteres möglich, da die Schnittmuster bzw. Modelle Eigentum des jeweiligen Auftraggebers waren. Es ist mir bis heute nicht bekannt, ob in DDR-Kaufhäusern oder Boutiquen Original-Friesennerze verkauft wurden.

Da sich Anfang der 1980er Jahre diese wendbaren Regenjacken trotzdem zunehmender Beliebtheit erfreuten und das vorhandene Bekleidungsangebot aus eigener Produktion häufig nicht mehr den Geschmack der Käufer traf, entschloss man sich, den Friesennerz auch für den eigenen Markt zu produzieren. Dazu musste er geringfügig abgewandelt werden, um lizenzrechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen, dennoch blieb der typische Friesennerz-Look und seine Funktionalität als Wendejacke erhalten. Neben dem „elpico“-Label an der linken Tasche auf der gelben Seite fallen besonders die Metalldruckknöpfe an den Taschen, unter dem Reißverschluss (nur gelbe Seite) sowie an den Ärmelenden auf. Verkauft wurde die Jacke unter dem Handelsnamen „Wetterwendejacke“ ab ca. 1982 oder 1983. Vom Ministerium für industrielle Preisgestaltung (ja, das hieß tatsächlich so) wurde der Preis für dieses begehrte Kleidungsstück in Abhängigkeit von der Konfektionsgröße auf 115,- M bzw. 120,- M (Mark der DDR) festgelegt. An die staatlichen Preisvorgaben mussten sich sämtliche Verkaufsstellen in der DDR halten, eine eigenmächtige Festlegung der Preise war nicht erlaubt.

Scheinbar liefen Produktion und Versand zunächst zögerlich an, ab Herbst 1983 war die „elpico“-Wetterwendejacke“ aber stets in größeren Mengen und sämtlichen Größen in vielen Kaufhäusern oder Boutiquen der DDR erhältlich. Und bestimmte auch schnell das Straßenbild. Besonders bei Schülern und jungen Erwachsenen war der „elpico“-Friesennerz trotz seines recht hohen Kaufpreises (auch „EVP“=“Endverbraucherpreis“) regelrecht angesagt. Von 1983 bis Ende 1985 wurde er von vielen bei jedem geeigneten Wetter getragen, nicht nur bei Regen und Wind. Zum einen aus praktischen Gründen: Eine robuste, leicht zu reinigende Jacke zum Spazierengehen, zum Mopedfahren im Sommer, für leichtere Arbeiten im Freien. Man konnte sie jenachdem, wie man Lust hatte, auf der gelben oder der dunkelblauen Seite nach außen tragen Wer wollte, konnte den Druckknopf unter dem Reißverschluss offen lassen, den gab es beim Original-Friesennerz schließlich nicht. Zum anderen gab es den „Me too“-Effekt, es war eine Jacke mit durchaus erotischem Faktor (wie sie Regenbekleidung vor dem Aufkommen der Hi-Tech-Funktionsbekleidung oft hatten), die es sogar für Inlandswährung gab und wofür keine „harte Währung“ benötigt wurde.

Im Jahr 1986 verschwanden allmählich die „elpico“-Friesennerze wieder aus dem Straßenbild. Zwar wurden sie noch recht oft getragen, aber fast nur noch bei Regenwetter. Ein Jahr später waren sie lediglich reine Zweckbekleidung für Garten- und Außenarbeit bei Wind und Wetter, beim Angeln oder zum Mopedfahren. Viele der vor wenigen Jahren gekauften Regenjacken waren inzwischen stark verschlissen. Dennoch hingen 1987 jede Menge neuwertiger „elpico“-Friesennerze in Kaufhäusern und Läden. Kaufen tat sie aber kaum noch jemand. Und der Preis war immer noch unverändert, dank der in der DDR eigens dafür vorhandenen Bürokratie. Ohne dass an den Verkaufspreisen etwas verändert wurde, verschwanden die Friesennerze um 1988 aus den Läden und machten die Regale frei – meistens für Importware oder Exportüberhang (nicht abgesetzte Exportware), welche dem aktuellen Trend wenigstens annähernd entsprach oder zeitlos-klassisch war. Vermutlich wurde daher auch 1987 die Produktion endgültig eingestellt. Der Bekleidungsindustrie der DDR gelang kein weiteres derart erfolgreiches Modell, welches trotz des hohen Preises in dieser Stückzahl verkauft wurde.

In der Zeit des Umbruches wurden leider auch nicht wenige gut erhaltene „elpico“-Friesennerze entsorgt. Bekleidung kostete ab jetzt wenig und war eh nicht für längere Haltbarkeit ausgelegt. Und in der neuen Freiheit brachte ein Friesennerz nicht den besten Ruf für seinen Träger und war Anfang der 1990er Jahre ohnehin out. Bis heute sieht man sehr, sehr selten einen Friesennerz, noch weniger einen echten „elpico“ in der Öffentlichkeit. Einerseits aufgrund des üppigen Angebotes an bequemer Hi-Tech-Outdoorbekleidung für fast wirklich alle Zwecke. Andererseits auch aufgrund der inzwischen entstandenen Witze über Ostfriesen, „Friesennerze“ und deren Träger, obwohl die wendbare Regenjacke absolut gar keine friesische Erfindung ist.

Seit etwa 2015 erleben – dank des schwedischen Designers Alexander Stutterheim - klassische Regenjacken wieder ein Comeback. Für den elpico-Friesennerz kommt dieses Comeback zu spät, da derzeit nur noch wenige Exemplare existieren, die bei Online-Auktionshäusern entsprechend hoch gehandelt werden.